Zürich
Macht ja keinen Scheiss!‘ Die Worte von Dietrich waren fast beschwörend, als er sich am späteren Abend die Aufzeichnungen der Funkgeräte anschaute. Obwohl er seine Mitarbeiter ruppig behandelte, waren sie ihm doch ans Herz gewachsen. Er hoffte inbrünstig, dass Klaus ein Einzeltäter war und nicht noch mehr seiner Mitarbeiter in den ganzen Drogensumpf verwickelt waren.
Immer, wenn er die Linien von Bert und Kathy betrachtete, musste er trotz der inneren Anspannung schmunzeln. Die Linien der beiden liefen noch immer identisch und sie waren nun mitten in Mae Sot. ,Wahrscheinlich irgendwo beim Essen‘, vermutete er. Die Linien von Bruce, Heinz und Robert hatten sich ebenfalls etwas am Rande von Mae Sot getroffen. ,Sind wohl am Saufen‘, vermutete Dietrich grinsend. Er nahm sich vor, seinen Leuten etwas näher zu kommen, wenn das Ganze hier durchgestanden war.
Susan hatte schon Recht mit ihrer Bemerkung und der erste Tag als freundlicher Chef war wohl auch nicht ganz in die Hosen gegangen. Instinktiv fasste er sich an den Kopf und fühlte nach dem Pflaster. Mittlerweile hatte er die Anspielung von Bert sehr wohl verstanden. ,Schlitzohr‘, brummte er vor sich hin.
Die Linie von Klaus allerdings bewegte sich von Mae Sot weg in Richtung Süden. Der sensibilisierte Nachrichtenspezialist hatte Gong bereits benachrichtigt und auch Susan und Frank schauten gebannt auf die Karte. Der Soldat zeichnete nun alle zehn Minuten die neue Position ein und es war deutlich zu sehen, dass er sich sehr schnell bewegte. Nach rund zwei Stunden Fahrt bog er westlich ab, in Richtung Grenze, welche er schnell erreichte und anscheinend ohne lange aufgehalten zu werden auch passieren konnte.
Gong notierte sich die Koordinaten an der Grenze und schaute dann wieder gespannt auf die Karte. Die nächsten 20 Minuten fuhr Klaus weiter nach Burma hinein. Dann zeigte das Funkgerät immer wieder die gleiche Koordinate auf. Anscheinend hatte er sein Ziel erreicht.
Klaus begrüsste den Obersten freundlich. Er musterte ihn neugierig und fühlte sich, wie immer, etwas unsicher in seiner Nähe. Aus dem ausdruckslosen Gesicht waren keine Emotionen zu lesen und seine tiefen Furchen im Gesicht waren regungslos und wie in Stein gemeisselt. „Was gibt es Neues an der Front?“, fragte Klaus scheinbar belanglos nach.
Der Oberst zuckte nur mit den Schultern und antwortete ihm nicht. Tatsächlich hatte er keine Informationen mehr erhalten. Er wusste nicht, ob die Verfolger, wie von Klaus vorausgesagt, das Ablenkungsmanöver in Pattaya nicht durchschaut hatten und nun irgendwo im Trüben fischten. Dass er selber keine Ahnung hatte, wollte er allerdings nicht zugeben.
„Alles bereit?“, fragte er ihn stattdessen. Klaus nickte. „Alles bereit. Anhand meiner Papiere beträgt das Gewicht der rückführungspflichtigen Medikamente genau 1.348 Kilo“, erklärte Klaus mit einem kurzen Blick auf seinen Papierstapel, welchen er in der Hand hielt. „Ich würde gerne nachkontrollieren,“ fügte er bestimmt an.
„Der Inhalt der Sendungen von Hilfswerken kann schlecht kontrolliert werden“, versuchte er sich zu erklären. „Aber wenn das tatsächliche Gewicht nicht mit den Papieren übereinstimmt, gibt es Probleme mit dem Zoll.“ Der Oberst schien unbeeindruckt. Mit einer harschen, kurzen Kopfbewegung gab er einem seiner Mitarbeiter zu verstehen, dass er mit Klaus mitgehen soll und lief dann militärisch steif und grusslos davon.
Im Labor war es angenehm kühl und Klaus begutachtete die bereitgestellte Ware. Kleber für die verschiedenen Schachteln, welche Inhalt und Hersteller sowie das jeweilige Gewicht anzeigten, lagen fein säuberlich und noch offen vor ihm. In den Schachteln steckten Plastiktüten mit Yaba. Diese Tüten waren ebenfalls mit einem Kleber bestückt. Oben auf der Schachtel war fein säuberlich ein detaillierter Packzettel in dreifacher Ausfertigung eingesteckt.
Klaus verglich jede der Schachtel genau mit seinen Frachtpapieren und kontrollierte das jeweilige Gewicht. Die Yabatabletten waren, wie immer von verschiedener Farbe und auch die Formen unterschieden sich. Ohne dass man sie in einem Labor analysierte, sah man den Tabletten nicht an, dass sie reinstes Yaba enthielten. Der Vorgang dauerte rund eine Stunde und am Schluss bedeutete Klaus einem der Gehilfen, dass er die ganze Ware auf die Waage stapeln soll. Der Zeiger blieb genau bei 1.348 Kilo stehen und Klaus nickte dem Gehilfen erleichtert und sichtlich befriedigt zu. Während der Gehilfe die Ware auf die Rückseite des Jeeps lud, schaute Klaus sich etwas im Lager um.
Er suchte einen Feldwebel, welcher in der Regel die Treibjagden auf die von der Armee geflüchtete Bevölkerung organisierte. Er fand ihn mitten in einer johlenden Menge von Soldaten. Als er in den Raum trat, verschlug es ihm fast den Atem. Der Raum war von Zigarettenrauch geschwängert und vermischte sich mit dem Geruch von Schweiss und billigem Schnaps.
Laute burmesische Schlagermusik dröhnte aus den grossen Lautsprechern, welche an jeder Ecke des Raumes an der Wand hingen und wurde nur noch vom lauten Geschrei der anwesenden Soldaten übertönt. Bereits nach wenigen Sekunden schmerzten Klaus die Augen und mit leicht trübem Blick versuchte er das Geschehen zu überblicken.
In der Mitte des Raumes stand auf einem kleinen Tisch ein mittelgrosses Aquarium, in welchem sich zwei kleine Fische ineinander verbissen hatten.
Die Fische waren wundersam bunt gefärbt. Der eine wies eine rötlichschwarze Farbe auf und hatte einen gezackten grossen Schwanz, welcher zwischendurch blutrot im kargen Licht aufblitzte. Der andere war bläulich gefärbt, etwas kleiner, schien aber beweglicher zu sein. Immer wieder entwischte er den wütenden Angriffen des roten Fisches und griff seinerseits blitzschnell von der Seite oder auch von unten an.
Neben dem Aquarium stapelten sich kleine Schnapsflaschen, welche mit Wasser aufgefüllt waren. Verschieden geformte und gefärbte Kampffische schwammen majestätisch und ruhig in den engen Flaschen hin und her. Die einzelnen Flaschen wurden durch ein Papier getrennt, welches zwischen die Flaschen geschoben war, damit die Fische einander nicht sahen und sich unnötig in Kampfbereitschaft versetzten.
Niemand nahm Notiz von Klaus, als dieser näher an das Aquarium trat. Die Augen der Soldaten funkelten aufgeregt und unheimlich im schwummerigen Licht. Ihre Blicke waren starr auf das Aquarium gerichtet. In den Händen hielt jeder ein Bündel Geld. Immer dann, wenn sich die Situation im Aquarium zu Gunsten eines der Fische veränderte oder man eine leichte Schwäche des einen vermeinte, hoben sie ihre Hände, schrien lautstark durcheinander und suchten einen Wettpartner, welcher bereit war, auf den jeweiligen Kontrahenten zu setzen. Dann schauten sie wieder gebannt auf das Aquarium.
Der blaue Fisch schien mit seiner Beweglichkeit und den kurzen, schnellen Angriffen zum Erfolg zu kommen und sogar für Klaus als Laie ersichtlich, liessen die Angriffe des rotschwarzen nach, seine Bemühungen erlahmten und er verlegte sich immer mehr auf die Verteidigung.
Sofort schossen wieder die Hände in die Höhe, welche nun allerdings vergebens versuchten, ihren Wettanteil am rotschwarzen Fisch gegen den blauen einzutauschen. Stolz ignoriert von denen, welche bereits in einem früheren Stadium des Kampfes ihr Geld auf den Blauen gesetzt hatten. Fluchend und wild gestikulierend gaben die Anhänger des rotschwarzen auf. Dieser schien zu spüren, dass ihn seine Anhänger aufgegeben hatten. Blitzschnell war der Kampf entschieden.
Der Rotschwarze flüchtete vor den noch immer wilden Angriffen des Blauen. Sofort wurden die Fische mit einer Plastikscheibe voneinander getrennt und der Ausrufer und Anheizer erklärte mit weit ausladenden theatralischen Gesten den blauen zum Sieger. Geld wechselte trotz des heillosen Durcheinanders in rasender Eile den Besitzer und schon bald kam erneute Spannung auf
Klaus nutzte den Augenblick aus und tippte dem Feldwebel an die Schulter, welcher soeben eine grössere Summe Geld zugesteckt erhielt. Stolz lächelte er Klaus an und bedeutete ihm mit Gesten, dass er ihn nach dem nächsten Kampf draussen treffen wird. Dann widmete er sich sofort den nächsten zwei Fischen, welche der Ausrufer blumenreich vorstellte. Die Menge rückte näher heran und die Blicke fixierten und taxierten die beiden Fische.
Das Papier zwischen den beiden Flaschen war mittlerweile entfernt worden und beide Fische schwammen aufgeregt und drohend aufeinander zu. Ihr ganzes Wesen schien nur noch auf Kampf ausgerichtet zu sein, sie versuchten sich so gross wie möglich darzustellen und pumpten sich förmlich auf. Die ersten Wetten wurden eingereicht und die beiden Fische in das Aquarium gesetzt, aber noch immer durch die Plastikscheibe getrennt. Mittels Drohgebärden und Scheinangriffen bereiteten sich die beiden Fische auf ihren Kampf vor.
Der Ausrufer liess sich Zeit, bis sich die Menge ein wenig beruhigt hatte und die Wetten platziert waren. Dann zog er langsam die Plastikscheibe hoch und die beiden Fische stürzten unverzüglich aufeinander und bissen sich fest. Klaus hatte genug gesehen und verliess fluchtartig den Raum. Gierig sog er vor der Türe die frische Luft in sich ein und spürte, wie schon bald der Druck in seinem Kopf nachliess. Nach einiger Zeit schwoll der Lärm aus dem Raum an und eine Entscheidung schien gefallen zu sein.
Wenig später trat der Feldwebel mit einem zufriedenen Grinsen aus dem Raum und zeigte Klaus stolz das Geld, welches er heute bereits gewonnen hatte. Mit seinem schlechten Englisch, unterstützt von Händen und Mimik schrie er Klaus seine Information zu. Noch immer halb taub vom Lärm im Raum erklärte er, dass seine Truppe übermorgen Zwangsarbeiter in einem der Dörfer im Dschungel rekrutieren wird.
„Sie müssen die Stellungen ausbauen und Wasserleitungen verlegen“, grinste der Feldwebel und freute sich auf den Einsatz. „Morgen Abend sehen wir uns“, grinste Klaus ihn verschwörerisch an. „Vergiss den ausländischen Whisky nicht“, schrie der Feldwebel ihm zum Abschied nach. Klaus überlegt sich, ob er sich vom Obersten verabschieden sollte. Beschloss dann aber, wie der Oberst auch, sich ebenfalls grusslos zu verabschieden. Bevor er losfuhr, kontrollierte er die Ladung und brauste dann wieder in Richtung der Grenze. Noch bevor er die Grenze unbehelligt von den bestochenen Grenzposten passiert hatte, schickte Gong bereits die ersten Soldaten los, welche den Auftrag hatten, die Umgebung zu rekognoszieren und möglichst genaue Angaben über Truppenstärke, Infrastruktur und den möglichen Standort des Drogenlabors zu liefern.
Am nächsten Morgen sollten sie, ausgerüstet mit lichtstarken Kameras versuchen, neben den Angaben über die Truppenstärke auch die Organisationsstruktur der Truppe zu erfassen. Nachdem die Späher weg waren, setzte Gong einen Teil der Infanterie und der leichten Artillerie in Alarmbereitschaft. Er befahl ihnen, gruppenweise und ohne Aufsehen zu erregen, näher an den möglichen Einsatzort zu rücken. „Südlich von Mae Sot ist die Grenze zu Burma so löchrig wie ein Schweizer Käse“, wusste Dietrich. „Die Truppen konnten ohne aufzufallen über die grüne Grenze nach Burma geschleust werden.“
Gong nickte ihm bestätigend zu. „Der Krieg gegen die Drogen hat begonnen“, teilte er seinem Vorgesetzten in Bangkok mit grimmiger Stimme mit. Klaus wusste natürlich nichts von der Aufregung und den hektischen Aktivitäten, die sein Ausflug anrichtete. Gemütlich fuhr er zurück nach Mae Sot, direkt vor die Lagerhalle des Hilfswerkes, in welchem die Medikamente gelagert wurden.
Eine kleine Gruppe von Burmesen erwartete ihn bereits. Schnell war die Ware abgeladen und stand wenig später unscheinbar in der Lagerhalle. Die wirklichen Medikamente wurden in der Zwischenzeit von den Burmesen auf ein Fahrzeug geladen. In der Lagerhalle überreichte ihm einer der Männer Geld, welches er ohne nachzuzählen in die Hosentaschen stopfte. Ein unbedeutendes, kleines Nebengeschäft im Vergleich zum Profit, welcher die Lieferung des Yaba abwerfen würde. Die Medikamente waren für den burmesischen Schwarzmarkt gedacht, wo sie zum Teil zu horrenden Preisen weggingen, obwohl das Verfallsdatum überschritten war. Das internationale Embargo machte es der burmesischen Regierung fast unmöglich, Medikamente legal einzuführen. Klaus schaute dem Wagen gleichmütig nach.
,Morgen werden sie die Kiste zum Flughafen in Mae Sot bringen‘, dachte er genüsslich. Die Leute wurden vom Obersten bezahlt und dienten als Absicherung, falls einmal etwas schief gehen sollte. Alles war vorbereitet, ihnen den Austausch in die Schuhe zu schieben. Illegal in Thailand lebende Burmesen. ,Viel schlimmer kann einen das Schicksal nicht bestrafen‘, grinste Klaus. Dann beschriftete er einen grossen Zettel mit ,Bitte nicht berühren‘ und klebte ihn an die nun versandbereite Yaba-Lieferung.
Er schloss sorgfältig die Tür hinter sich. Wenig später rief er Bruce an. „In welcher Schluckstube seid ihr?“, fragte er gemütlich. Es dauerte nicht mehr lange, bis er seinen Arbeitskollegen zuprostete und gelöst und völlig unauffällig an dem allgemeinen Vergnügen teilnahm.
„Eigentlich reicht das bereits aus, um ihn festnehmen können“, meinte Gong, welcher sich zusammen mit Dietrich, Frank und Susan sowie einigen Stabsmitarbeitern die Aufnahmen aus dem Lagerhaus anschaute. Bedächtig und ernst nickte Dietrich. Frank lachte verächtlich auf und versuchte nicht, seine Abscheu zu verbergen. Susan schaute sich die Szene mit einem scheinbar unbewegten Gesicht an. In ihr jedoch tobte ein Sturm der Gefühle. Irgendwie hatte sie bis zuletzt gehofft, dass alles ein Missverständnis war und sich die Vorwürfe gegen Klaus im Sande verlaufen.
Ein Karussell der Gefühle drehte immer schneller werdend seine Runden. Liebe, Hass, gekränktes Ego, Mitleid und Wut wirbelten wild in ihr herum und vermischten sich zu einem Gefühlscocktail.
Der stiess ihr allerdings bitter auf und verwirrte sie. ,Du hast es gewusst‘, versuchte eine Stimme des Verstandes, sich durchzusetzen. ,Du hast dich in einen Drogenschmuggler verliebt, einen Kriminellen, der Tausende von Menschen leiden und sterben lässt, um daraus Kapital zu schlagen.‘ Sie riss sich zusammen und ihr Gesicht blieb weiter unbeweglich. Der Stabsoffizier fragte Gong, ob man Klaus verhaften solle. Gong schüttelte bedächtig den Kopf. „Noch nicht“, meinte er leise. „Erst wenn die Ware in Zürich angekommen, die Behörden in der Schweiz aktiv geworden und die Abnehmer bekannt sind. Klaus fühlt sich sicher und rennt uns nicht davon, erklärte er mit einem bitteren Lächeln.
Während Gong sich endlich etwas Ruhe gönnte, trafen die ersten Meldungen der Späher ein. Diese wurden gefiltert, bewertet und anschliessend in eine zweite Karte eingetragen, nachdem sie als ,gesichert‘ klassifiziert waren. Langsam ergab sich so ein Bild der Stellungen und der Truppenstärke, sowie des Materials, welches den Truppen zur Verfügung stand. Als Frank am nächsten Morgen noch verschlafen in den Stabsraum stolperte, war Gong bereits wieder an der Arbeit und schien ausgeschlafen und fit zu sein. Frank schüttelte nur den Kopf und fragte sich, ob der Mann denn nie müde wurde. Gegen Mittag trafen die ersten Bilder ein, welche die Angaben der Späher ergänzten und visualisiert darstellten.
Nach dem Mittagessen stellte der Nachrichtenoffizier die bisher bekannte Lage dar. Es wurde ermittelt, welche Informationen noch fehlten, um einen erfolgreichen Schlag gegen die Drogenmafia durchführen zu können, worauf die Späher ihre nächsten Aufträge erhielten. Gegen Abend trafen weitere Bilder ein. Sie zeigten vornehmlich Uniformierte. Die Nachrichtentruppe erstellte anhand der Rangabzeichen ein Organigramm, welches sie bis spät in die Nacht laufend mit neuen Bildern ergänzten. Die Bilder der höheren Führungsriege schickten sie an einen Zentralrechner in Bangkok zur Auswertung.
Das Bild des Obersten, von dem man mittlerweile wusste, dass er der ranghöchste Offizier im burmesischen Lager ist, war kaum an den Rechner geschickt worden, als wenig später bereits die Auswertung auf dem Bildschirm erschien.
Oberst Su Yin war 45 Jahre alt, verheiratet und Vater von drei Kindern. Anfang der 90 -er Jahre war er als Diplomat in Thailand, Malaysia und Indonesien. Bis 2003 hielt er eine leitende Position im National Intelligence Bureau (NIB). Wahrscheinlich verantwortlich für die Deportation und die Liquidation tausender Menschen ethnischer Minderheiten und politischer Oppositioneller. Genannt der Schlächter von Tabayin (durch die Organisation der Ermordung zahlreicher Führer der Demokratischen Partei vom 30. Mai 2003).
Gehörte zur Führungsriege im Geheimdienst von Myanmar, dem Defence Services Military Security. Verwandtschaftliche Verbindungen zu Than Shwe, dem Staatsoberhaupt von Myanmar. Jetzige Position unbekannt.
„Jetzt nicht mehr“, meinte Gong mit lakonischer Stimme zum Nachrichtenoffizier. „Sie haben ihm zum Dank einen Posten verschafft, mit dem er etwas Geld verdienen kann“, meinte er ironisch „Beziehungen nach Thailand und über das Hilfswerk auch nach Europa.
Inhaber und Betreiber einer der grössten Drogenfabriken auf burmesischem Gebiet und ein Busenfreund vom Staatsoberhaupt, der ihm wahrscheinlich den Posten verschafft hat und ihm den Rücken freihält. „Das ist unser Mann, da bin ich mir sicher“, betonte er. Dann legte er dem Einsatzchef der Späher das Bild des Obersten auf sein Pult und teilte mit: „Der wird von jetzt an speziell bewacht und keine Sekunde aus den Augen gelassen.“
Der Einsatzchef streckte kurz seinen Rücken durch und sass stramm, griff dann zu seinem Funkgerät und instruierte seinen Gruppenchef vor Ort. Der Einsatzchef war völlig übermüdet und wünsche sich nichts sehnlicher, als den Einsatz der Truppen, damit das Geschehen ablaufen und er seine Ruhe finden konnte. Seine Mission war heikel und jederzeit konnte ein dummer Zufall dazu führen, dass einer seiner Späher entdeckt wurde.
Die Männer für solche Einsätze waren handverlesen und während der Ausbildung wurde fleissig weiter aussortiert. Am Schluss eines Lehrgangs waren in der Regel von den ursprünglich 125 Soldaten, welche den Lehrgang begannen, noch derer 20 übrig. Das mörderisch harte Programm forderte seinen Tribut. Das geringste Anzeichen von Schwäche hatte den sofortigen Ausschluss zur Folge. Nur wer über einen überdurchschnittlich starken Selbsterhaltungstrieb und einen starken Willen verfügte, konnte sich in dieser Einheit durchsetzen.
Jeder der 22 Soldaten war für sich eine lebende Kampfmaschine. Intelligent, schnell, präzise, und im Einsatz lautlos und tödlich. Ein Meister der Tarnung, an den verschiedensten Waffen ausgebildet, psychologisch bearbeitet und belastbar wie ein Ochse, den man mit Schmerzmitteln vollgepumpt hatte. Ausser ihrem Auftrag existierte nichts in ihren Köpfen. ,Neben denen sieht James Bond aus wie ein Schuljunge aus einem Comicheft‘, grinste er vor sich hin. ,Trotzdem sind auch meine Supermänner nicht vor Überraschungen gefeit‘, dachte er nachdenklich geworden und kämpfte wieder gegen die aufsteigende Müdigkeit an.
Gong, welcher diesen Lehrgang vor einigen Jahren selber abgeschlossen und dann einige Zeit als Instruktor in dieser Einheit gearbeitet hatte, telefonierte in der Zwischenzeit mit seinem Vorgesetzten in Bangkok: „Für mich stellt sich die Frage, ob wir dem Obersten irgendwelche Verbindungen nach Thailand nachweisen können“, sprach er mit leiser Stimme. „Jemand muss das Unternehmen finanziert haben und die Verteilung in Thailand organisieren“, begründete er seinen Verdacht. „Die Organisation in Pattaya war mit Sicherheit nicht die einzige, welche in Thailand aktiv war, dafür ist der Markt zu gross und zu nahe am Drogenlabor.“
Der Vorgesetzte seufzte tief auf und es war einige Sekunden ruhig in der Leitung. „Normalerweise werden die Militärs aus Burma bei einer offiziellen Einreise nach Thailand vom Geheimdienst überwacht“, meinte er dann nach längerem Zögern. „Konzentrieren Sie sich auf ihren Einsatz und ich werde die Nachforschungen betreffend Su Yin übernehmen. Wahrscheinlich haben Sie Recht mit Ihrem Verdacht“ , tönte die Stimme des Vorgesetzten resigniert. „Leider sind auch unsere Landsleute nicht gegen das schnelle Geld gefeit“, erklärte er und hoffte inbrünstig, dass seine Nachforschungen nicht eine Lawine in Politik und Wirtschaft auslösen wird. „Skandale können wir jetzt, nachdem die Asienkrise langsam überwunden scheint, überhaupt nicht gebrauchen“, sinnierte er.
„Sars und Vogelgrippe sind schon Strafe genug. Ich erwarte morgen früh ihren Einsatzbefehl!“ befahl er Gong zum Schluss und hing auf. ,Ich will die ganze verdammte Drogenbande in den Erdboden gestampft sehen‘, schimpfte Gong nach dem Telefonanruf. ,Unabhängig von ihrer Nationalität und ihrem Status. Man muss das Übel an den Wurzeln ausreissen, sonst wuchert es in kürzester Zeit wieder hervor und zwar schlimmer als je zuvor‘, war er sich sicher.
Dietrich hatte inzwischen seine Vorbereitungen abgeschlossen. Seine Organisation in Zürich war instruiert und bereitete sich ihrerseits auf ihren Einsatz vor. „Die Schlinge zieht sich langsam zu“, stellte er befriedigt fest. Frank war froh, dass sich die Einsatzzeit der Truppen langsam näherte. Ihm war langweilig. Ausserhalb des Camps durften sie sich nicht bewegen, da man jegliches Risiko ausschalten wollte.
Die Arbeit im Stabsbüro faszinierte ihn zwar, aber manchmal passierte stundenlang überhaupt nichts, man wartete auf neue Informationen oder war mit Schreibarbeiten beschäftigt, die den Einsatz dokumentierten.
Zum Glück verfügte Dietrich über eine Bibliothek mit spannenden Büchern und brachte ihnen eine grosse Auswahl davon. Susan erholte sich inzwischen und vertrieb sich die Zeit mit Lesen, Faulenzen und Schlafen. Manchmal sass sie stundenlang einfach nur da und ordnete ihre Gefühlswelt.
Die Ringe unter den Augen waren verschwunden und die äusserlichen Schmerzen verheilt. Gong war mit dem Nachrichtenoffizier und dem Stabsoffizier in die Nähe des Einsatzgebietes gefahren, soweit es sich auf thailändischer Seite befand, und orientierte sich aus erster Hand. Er war kein Freund von Einsätzen, welche auf dem Reissbrett entworfen werden und führte lange Gespräche mit den Spähern, welche nun seit beinahe zwei Tagen im Einsatzgebiet unterwegs waren. Der Nachrichtenoffizier hatte die Einsatzkarte dabei und jede eingezeichnete Position wurde mit den Spähern durchgesprochen und eingehend diskutiert.
Am Nachmittag fuhren die beiden Offiziere zurück, um den Angriffsplan zu erstellen. Gong selber liess es sich nicht nehmen, zusammen mit einem der Späher vor Ort die Infrastruktur und das Gelände auszukundschaften. Auf dem Heimweg hatte er eine lebendige Vorstellung davon, wie die Aktion erfolgreich durchgeführt werden konnte. Er ergänzte in einigen Punkten den Angriffsplan der beiden Offiziere, bis er genau seinen Vorstellungen entsprach und nach menschlichem Ermessen zum Erfolg führen musste.
Am späten Abend sassen alle, die für den Einsatz verantwortlich waren, sowie im Hintergrund ein gespannter Frank und eine interessierte Susan zusammen. Der Angriffsplan wurde von Gong genau erläutert, damit alle ein Gesamtbild des Einsatzes vor Augen hatten. Gong erteilte genaue, zeitlich abgestimmte Einzelaufträge an die jeweiligen Einsatzleiter. Er gab ihnen Zeit, die Aufträge zu planen und die benötigten Mittel bereitzustellen. „Morgen früh um 8 Uhr wird der Einsatz im Detail durchgespielt“, befahl er knapp und schaute aufmerksam in die Runde, um sicher zu sein, dass ihn jeder verstanden hatte.
Zufrieden schloss er den Rapport. „Der Einsatz wird morgen Nachmittag, pünktlich um 5 Uhr stattfinden. Um diese Zeit lässt der Oberst seine Truppe antreten und orientiert sie über die Aktivitäten des nächsten Tages. Ausserdem landet morgen früh die Maschine mit den Drogen in Zürich und wir wollen den Kollegen in der Schweiz genügend Zeit geben, dass sie ihre Aktion ebenfalls erfolgreich durchführen können.“ Dabei nickte er Dietrich zu, welcher den Zeitvorsprung von mindestens acht Stunden für die Aktion in Zürich beantragt hatte. „Wir brauchen Zeit, damit wir den Weg der Drogen vom Flughafen weiter in die Verteilerzentralen und zu den höheren Chargen der Drogenorganisation verfolgen können“, begründete er seinen Antrag.
Während Gong mit seinem Vorgesetzten den Angriffsplan durchsprach, herrschte ein hektisches Treiben im Stabsbüro. Jeder war mit der Planung seines Teils des Angriffsplans beschäftigt. Die Augen von Gong strahlten einen sonderbaren Glanz aus und trotz der Müdigkeit konnte er längere Zeit nicht einschlafen. Immer wieder erschien der Plan vor seinen Augen und das Gehirn suchte fieberhaft, ob es doch noch irgend etwas gab, was er übersehen hatte.
Lange vor dem ersten Hahnenschrei sass er wieder an seinem Arbeitsplatz. Die Detailplanungen schienen abgeschlossen zu sein und ausser einem Nachrichtensoldaten und einer Büroordonnanz, welche Nachtschicht hatten, war es ruhig im Stabsbüro. In aller Ruhe sah er sich die schriftlichen Organisationspläne an, welche die Einsatzleiter in der Nacht erstellt hatten. Er verglich jeden der Pläne mit dem logischen Ablauf des Gesamtplanes. Zufrieden schloss er das Dossier.
Langsam füllte sich der Raum wieder mit den mehr oder weniger ausgeschlafenen Einsatzleitern. Einige organisatorische Schwierigkeiten wurden im Vorfeld besprochen. Genau um acht Uhr begann das Planspiel. Die Uhr im Hauptquartier wurde auf die exakte Einsatzzeit um 17 Uhr nachmittags vorgestellt. Zuerst wurde der Angriff wie geplant durchgespielt. Alles klappte wie am Schnürchen. Dann spielte Gong Szenarien durch, die nicht geplant waren. Er zwang die Einsatzleiter dazu, sich in Sekundenschnelle der neuen Situation anzupassen und blitzschnelle, angepasste Entscheidungen zu fällen. Er stürzte die Einsatzleiter ins Chaos und wirbelte ihre Pläne völlig durcheinander. Gegen Mittag war er zufrieden und die Einsatzleiter mehr als froh, als er sie endlich in Ruhe liess.
Der Raum war spannungsgeladen, als Dietrich ihn betrat. Er hatte sich wegen Kopfschmerzen für den Rest des Tages bei seinen Mitarbeitern abgemeldet. Kaum hatte er den Raum betreten und vergebens versucht, sich einen Überblick zu verschaffen, als sein Handy laut schrillte und er auf dem Display den Namen von Klaus sah. Er sprintete für sein Gewicht erstaunlich schnell aus dem Raum und nahm dann den Anruf entgegen. „Hallo Chef!“ ertönte die freundliche Stimme von Klaus. Dietrich bemühte sich und brummelte ein „Hallo“ in den Hörer. Er war gespannt bis in die Haarspitzen und trommelte nervös mit seinem Daumen auf den Tisch. „Ich melde mich für die nächsten zwei Tage ab“, sprach Klaus. „Ich habe die letzte Woche wie ein Stier gearbeitet.
Ich brauche etwas Entspannung und melde hiermit meine Wandertage für diesen Monat an. Zudem ist schon bald Vollmond“, ergänzte er grinsend.
„Kein Problem“, sprach Dietrich, um eine ruhige Stimme bemüht, in den Hörer. „Melde Dich, wenn Du wieder vom Wandern zurück bist.“ Dietrich hoffte, dass sich keine Ironie in seinen Tonfall gemischt hatte. „Falls etwas Wichtiges ist, erreicht ihr mich ja jetzt mit dem neuen Funk“, fügte Klaus an. „Wir werden ja sehen, wo Du Dich beim Wandern entspannst“, sagte Dietrich nun triefend vor Ironie und warf einen Seitenblick auf die Karte an der Wand.
Wenig später meldete der Nachrichtensoldat, dass Klaus die Umgebung von Mae Sot verlassen hatte und in südliche Richtung fuhr. „Scheint so, als will er mit der Drogenmafia wandern gehen“, stellte Dietrich lakonisch fest. „Dann kann er gleich mit eigenen Augen zuschauen, wie man mit seinesgleichen hier in Thailand umzugehen pflegt“, erwiderte Gong zynisch. Als sicher war, dass Klaus auf dem Weg ins Drogenquartier war, gab Gong den Befehl, dass man das Leben von Klaus schonen solle. „Wir wollen ihn lebend!“
Susan, welche neben ihm stand, nickte heftig und hielt sich erschrocken die Hand vor ihren Mund. Sie war nicht nach Mae Sot gefahren, um sich die Leiche von Klaus anzuschauen. Punkt ein Uhr herrschte allgemeine Aufbruchstimmung. „Noch vier Stunden!“, stellte Gong mit einem Blick auf seine Uhr mit unbewegter Miene fest. Die einsatzbereite Truppe sass nervös und angespannt in der Nähe des Einsatzgebietes und wartete ungeduldig auf ihren Einsatz.
Auf dem Gelände des Flughafens in Kloten wimmelte es von verdeckten Beamten, welche jede Bewegung an und um die Kiste aus Thailand mit Argusaugen beobachteten. Der Betrieb war wie immer hektisch und die Arbeiter bewegten sich wie geschäftige Ameisen in einem geordneten, aber für Aussenstehende fast nicht zu durchschauenden Chaos.
Ein Vertreter der für die Verzollung der Kiste zuständigen Firma wartete bereits im Zollfreilager auf den Zollbeamten und zog nervös an einer Zigarette. In der Hand hielt er alle erforderlichen Belege und wedelte sich damit von Zeit zu Zeit frische Luft zu. Transportpapiere, Zolldokumente und den Nachweis der zuständigen Bundesbehörde, dass es sich um einen bewilligten Spezialtransport zwecks Vernichtung handelte.
Er hoffte, dass der Zoll die Kiste so schnell wie möglich abfackelte. Zeit ist Geld und er hatte heute noch einige Dossiers, welche im Büro auf ihn warteten. Endlich kam der Zollbeamte mit wichtiger Miene auf ihn zu und zeigte auf die Kiste. „88452?“, fragte er wichtig nach, obwohl die Zahl gross auf der Kiste aufgedruckt war. Der Zolldeklarant versuchte, sich seinen aufsteigenden Ärger über den Bürokraten nicht anmerken zu lassen und bestätigte mit freundlicher, aber geschäftiger Stimme: „Richtig. 88452“ und streckte ihm das Dossier mit den Zollpapieren entgegen.
„Aufmachen!“, befahl ihm der Zöllner bestimmt. Der Ermittlungsbeamte, welcher in der Nähe stand und scheinbar konzentriert in irgendwelchen Unterlagen blätterte, spürte, wie ihm das Blut in den Adern gefror und schaute nervös um sich. Der Zolldeklarant nickte und bemühte sich um eine ausdruckslose Miene. Innerlich verfluchte er den Beamten, wusste aber genau, dass auch die geringste Bemerkung, welche dem Zollbeamten in den falschen Hals geriet, seinen Zeitplan auf den Kopf stellen könnte. ,Wenn der will, zählt er eigenhändig jede verdammte Pille in der Scheisskiste‘, dachte er. „Im Gegensatz zu mir hat der Zeit bis er heim zu Muttern muss, die letzten drei Minuten vor der Stempeluhr wartend, damit er ja keine Zeit verschenkt.
Er besorgte sich beim Lagerchef einen Eisenfuss und einen Hammer und fing dann an, die Nägel am Deckel der Kiste zu lösen. „Netter Kerl,“ dachte er, als ihm der Mann mit den Blättern half, als seine Kraft nicht ausreichte, den Deckel anzuheben. Mit einem eigentümlichen Knirschen lösten sich die Nägel und der Inhalt der Kiste lag offen vor ihnen. Der Zollbeamte hatte nicht wirklich im Sinn, die Kiste zu kontrollieren. Während er mit dem Deklaranten sprach, spürte er ein eigentümliches Ziehen in der Bauchgegend und wollte dem Abhilfe schaffen. Während der Deklarant seinem Ärger Luft verschaffte und den pflichtbewussten Zöllner verfluchte, sass dieser auf dem Thron und blätterte gemütlich in der neuesten Ausgabe einer Tageszeitung.
„Es ist vollbracht“, befand er etwas später erleichtert, zog sich die Hosen hoch, wusch sich sorgfältig die Hände und trottete dann gemütlich zurück. „Noch zwanzig Minuten bis zur Pause“, stellte er mit einem Blick auf seine Uhr fest. ,Nur nichts Neues mehr vor der Pause anfangen‘, dachte er und liess den Deklaranten einige der Packungen aus der Kiste holen. Sorgfältig kontrollierte er die Papiere in den verschiedenen Paketen, ob sie mit den Transportpapieren übereinstimmten.
Vom Inhalt selber nahm er nur kurz Notiz. ,Pillen halt‘, befand er gleichgültig. Steht ja auch auf allen Papieren und ist bewilligt. Nach genau fünfzehn Minuten stempelte er die Papiere ab und wünschte dem Deklaranten einen schönen Tag. Genau zwanzig Minuten später stand er am Eingang zur Kantine und stellte sich an der bereits recht ansehnlichen Schlange an.
Nachdem der Deklarant die Kiste wieder eigenhändig geschlossen hatte, wurde ein Gabelstaplerfahrer gerufen, der vorfuhr und die Kiste in die Lagerhalle der Speditionsfirma brachte. Der Deklarant knallte der Speditionsassistentin wortlos das fertige Dossier auf den Tisch, krallte sich schnell das nächste und sprintete wieder aus dem Verwaltungsgebäude in Richtung Zollfreilager. Routinemässig blätterte die Assistentin das Dossier durch und vergewisserte sich, dass alle Papiere lückenlos vorhanden waren. Auf dem Auftragspapier stand eine Telefonnummer, welche sie anrief und erklärte, dass die Ware verzollt sei und bei ihnen abgeholt werden kann. „Lager 2A, wie immer“, wiederholte eine freundliche, männliche Stimme am Telefon.
Dann brachte sie den erledigten Stapel von Dossiers zum Lagerchef, klärte einige andere Details mit ihm und war Minuten später wieder konzentriert an der Arbeit. Knapp eine Stunde später fuhr ein neutraler Lieferwagen vor dem Lagerhaus der Speditionsfirma vor. „Solche Kunden haben wir gerne“, grinste der Lagerchef dem Fahrer zu, welcher von zwei weiteren Männern begleite wurde. „Rein und sofort wieder raus. Das senkt die Lagerkosten“, brummelte er vor sich hin und wies einen der Magaziner an, die Palette mit der Nummer 88452 in den Lieferwagen zu verladen. „Hier noch unterschreiben, bitte!“ und er zeigte gemütlich auf den Platz, wo er die Unterschrift haben wollte. Der Fahrer kritzelte eine unleserliche Unterschrift auf die angewiesene Stelle. Der Lagerchef zog die Stirne kraus und musterte das Gekritzel.
„Falls Nachfragen ihrer Firma kommen, brauche ich den Namen noch in Druckschrift,“ rief er dem Mann hinterher. Der war jedoch bereits beim Wagen angekommen und wollte einsteigen. „Kunz!“, rief ihm der Fahrer zu. „Heinz Kunz!“, ergänzte er, startete den Wagen und bahnte sich einen Weg durch das Verkehrschaos vor den dicht aneinander stehenden Speditionsfirmen.
Dicht, aber nicht zu dicht gefolgt von den Ermittlungsbeamten. Die drei waren bereits unbemerkt fotografiert worden und der Fahndungsrechner lief wenige Minuten später auf Hochtouren. Ebenso die Fahndung nach dem Besitzer des Lieferwagens. Der Fahrer fuhr nichts ahnend auf die Autobahn in Richtung der City.
Die Beamten, welche ihnen in neutralen Autos folgten, wechselten sich laufend in der Verfolgung ab und koordinierten die Aktion über Funk. Der Verkehr verlief flüssig und rund zwanzig Minuten später fuhr der Lieferwagen am Bahnhof Zürich vorbei, bog nach der Kasernenstrasse wenig später in die Langstrasse ein und hielt in einer der Seitengassen vor einem grossen, roten Gebäude.
Trotz des Verbotes der Polizei war offensichtlich, dass Prostituierte auf der Suche nach Freiern auf der Strasse standen oder langsam hin und her schlenderten. Die Blicke, welche sie den gemütlich durch die Gassen schlendernden einzelnen Männern zuwarfen, sprachen Bände. Der Lieferwagen dagegen fand keine Beachtung. Ganz anders die Beamten in Zivil, welche sofort von den käuflichen Damen des Gewerbes angesprochen wurden.
Eine dicke, schwarze Frau mit einem ungepflegten, wirren Gestrüpp auf dem Kopf watschelte auf einen der Beamten zu und sprach ihn in gebrochenem Deutsch an. Dieser fiel sofort in die Rolle des möglichen Freiers. Während des Gesprächs mit der Frau beobachtete er scharf jede Regung um den Lieferwagen. Seine Kollegen, welche zum Teil ebenfalls den liebeshungrigen Freier spielten oder aus dem Auto heraus die Machenschaften um den Lieferwagen beobachteten, sahen wenig später, wie ein gutgekleideter Mann, Ende 30, kurze Haare, mit Schnurrbart und einer dicken Goldkette um den Hals aus dem Gebäude trat. Er trug, trotz des trüben Wetters, eine Sonnenbrille und warf, bevor er sich dem Lieferwagen näherte, einen prüfenden Blick auf die Strasse.
,Alles wie immer‘, stellte er beruhigt fest. ,Sogar Freier gibt’s heute‘, grinste er. ,Monatsanfang ist noch etwas Geld übrig, dass man ausser Hause verpfeffern kann‘, dachte er amüsiert und feixte unverschämt einen der Freier an, welcher mit einer dicken schwarzen Frau um den Preis für ein Schäferstündchen feilschte. ,Sauhund!‘, dachte er angewidert nach einem Seitenblick auf die dicke, ungepflegte Frau. Schüttelte seinen Ekel ab und befahl dann ohne Umschweife den beiden Begleitpersonen, die Ware abzuladen.
Er zeigte ihnen einen kleinen Raum, dessen Eingang von der Strasse weg in einem kleinen Vorhof mündete. Nachdem die Ware abgeladen war, brauste der Lieferwagen ohne Verzögerung wieder fort. Die Polizei hatte sämtliche erforderlichen Daten und liess den Wagen passieren. Man konnte sich später um ihn kümmern. Wichtiger war es, die Endverteilung nicht zu verpassen.
Nur wenige Minuten, nachdem die Ware abgeladen worden war, parkte ein Mercedes mit Berner Kennzeichen vor dem Gebäude. Aus dem Wagen stieg eine asiatische Frau, Ende 50, mit einem sportlichen, kurzen Haarschnitt. Sie war sehr stark geschminkt und wirkte etwas pummelig. Der Fahrer des Benz stieg ebenfalls aus. Es war ein magerer, grosser Mann mit schütterem blonden Haar und einer goldumränderten, auffallenden Brille.
Vielleicht etwas jünger als die Frau, was jedoch wegen der starken Schminke schwierig abzuschätzen war. Geschäftig und mit einer Aktentasche bewaffnet, steuerten die Beiden zielsicher auf den kleinen Raum zu. Unbemerkt fotografiert von den Beamten, welche sich nun langsam auf die umliegenden Gebäude verteilten. Der Raum war leider von aussen nicht einsehbar, aber wenig später trugen die beiden früheren Begleiter des Fahrers einige Pakete zum Mercedes und wenig später fuhren die beiden wieder weg. Mit einem unsichtbaren Rucksack im Rücken, der ihnen pflichtbewusst und treu wie ein Schatten folgte.
Während der nächsten drei Stunden hielten nacheinander acht weitere Fahrzeuge aller möglicher Marken mit den verschiedensten Kennzeichen an der gleichen Stelle und die Insassen, deren Gesichter auf die verschiedensten Nationalitäten schliessen liessen, steuerten ohne Umschweife auf den kleinen Raum zu.
Es dauerte nicht lange, bis sie nach Abschluss ihrer Geschäfte von unsichtbaren Beamten verfolgt, wieder wegfuhren. Den Abschluss bildete ein kleiner Personenwagen, mit deutschem Kennzeichen aus Frankfurt. Der kleine Wagen hatte gerade noch Platz, um in den kleinen Vorhof zu fahren. Zwei kleine, hübsche Asiatinnen stiegen laut schnatternd und lachend aus. Während sich zwei der Männer intensive am Wagen zu schaffen machten, verschwanden die beiden Asiatinnen in dem Raum, um wenig später, scheinbar in einer Blitzaktion geschwängert, wieder auf die Strasse zu treten.
Dann tuckerten auch sie wieder in Richtung der Hauptstrasse, nachdem sie den Wagen umständlich und mehrmals korrigierend rückwärts aus dem Vorhof manövriert hatten, um bis zur Grenze von aufmerksamen Beamten begleitet zu werden.
Nach der Grenze würden sich die deutschen Kollegen um sie kümmern, welche bereits im Vorfeld der Aktion sensibilisiert wurden. In der Einsatzzentrale, welche die Aktion koordinierte, blinkte der Bildschirm und die ersten Resultate der Fahndungsaktion erschienen auf dem Schirm. Der Mann mit der dicken Goldkette konnte trotz Sonnenbrille problemlos identifiziert werden. Peter Hänni, 46 Jahre alt, mehrmals wegen verschiedener Delikte vorbestraft und Besitzer einiger anscheinend gutgehender Restaurants und Spielsalons im Raum Zürich.
Der Mann mit der Goldbrille war dem Fahndungscomputer ebenfalls bekannt. Er führte zusammen mit seiner Frau einen Saunaclub, sowie weitere Etablissements, welche in der Regel von einzelnen Herren zwecks Abbaus des Samenstaus aufgesucht werden. „Ideale Geschäftszweige, um das Drogengeld zu waschen“, murmelte der Einsatzleiter vor sich hin und griff dann zum Telefon. „Wir sind so weit“, klärte er Dietrich in Mae Sot auf. „In wenigen Stunden wird die Endverteilung der Drogen an neun Standorten in der Schweiz und einem Standort in Deutschland, vermutlich Frankfurt, erfolgen. Die involvierten Personen wurden erfasst und werden zur Zeit von unseren Beamten beschattet. Wir sind zuversichtlich, dass wir in wenigen Stunden die ersten Personen verhaften können und wir wünschen Euch einen ebenso grossen Erfolg in Thailand“, fügte er zum Schluss an.
Nach wenigen Stunden war die Liste komplett. Alle Drogenkuriere waren an ihrem Ziel angelangt. In der Folge wurde jeder, der das jeweilige Gebäude betrat, sofort, nachdem er es wieder verlassen hatte, verhaftet. Im Zuge dieser gigantischen Verhaftungswelle gingen den Beamten mehr als 130 verdächtige Personen ins Netz. Die größte Tageszeitung der Schweiz war am nächsten Tag voll des Lobes:
„Sensationeller Schlag gegen Internationalen Drogenring!
Der Kantonspolizei Zürich ist es nach monatelangen Recherchen im In- und Ausland gelungen, einen international operierenden Drogenring auszuheben. Wie Walter Hofer, verantwortlicher Einsatzchef betonte, konnten über eine Tonne Rauschgift, welches im Markt unter dem Namen Yaba bekannt ist, sichergestellt werden. Die Ermittlungen sind gemäss Hofer noch nicht abgeschlossen. Schweizweit wurden alle Drahtzieher, sowie rund 130 direkt in Drogenaktivitäten verstrickte Personen festgenommen. Dies stellt einen der grössten Erfolge in der Geschichte der Schweizer Drogenfahndung dar. Mit Recht spricht Hofer von einem Meilenstein in der internationalen Zusammenarbeit, welche diesen Erfolg ermöglichte.
Weitere Schläge im In- und Ausland sind gegen die asiatische Drogenmafia geplant.“